Aus Gießener Allgemeinen vom 28.12.1982 geschrieben von Siggi Richter
Nina Heß feiert 70. Geburtstag
Gießenerin hat Tischtennis-Landschaft geprägt - Beim GSV »Mädchen für alles«
(rt) Der Vater gehörte zum russischen Erbadel, die Mutter war eine Deutsche aus Friedberg Mit zehn Jahren kam die nur russisch sprechende Tochter als Vertriebene nach Deutschland, wo das »Büffeln und Büffeln« Jahre über Jahre Hauptinhalt des Lebens bei der Tante bedeutete, um in der neues Heimat Fuß an fassen. Geschenkt bekommen hat Nina Heß, die heute ihren 70. Geburtstag feiert, in all den Jahrzehnten nicht viel, dafür aber gelernt, mit Geduld und Beharrlichkeit Ziele anzustreben, Aufgaben zu erfüllen. So auch und vor allem im Sport, der nun sicher einen wichtigen Grund dafür darstellt, daß die am 28. 12. 1912 als Nina Borisowna von Kasin im ukrainisches Charkow geborene Jubilarin mit Zufriedenheit zurückblicken kann.
Für das Schwimmen fand "die Nina" , wie sie überall liebevoll genannt wird, nach den harten Jugendjahren mit 24 Jahren Zeit, und zum Tischtennis kam sie erst 1946, als sie in Ruppertsburg den damaligen TTC aus der Taufe hob, der später im VfB aufging. Obwohl bereits 33 Jahre alt, gelangen ihr schnell Titelgewinne mit der Mannschaft auf Kreisebene und in den 50er Jahren auch ungezählte Male als Einzelspielerin - in der Presse als »Naturtalent. bezeichnet - im Kreis, Bezirk und sogar auf Hessenebene.
1956 zum GSV gekommen, spielte Nina Heß acht Jahre lang Oberliga, also in der damals höchsten Klasse, und auch auf internationalen Turnieren gab Nina Breitstadt - so ihr Name nach der ersten Eheschließung 1939 in Frankfurt ihre Visitenkarte ab. Doch eine auch erfolgreichere Sportkarriere begann für die »Lady of Lahn«, als sie in der Spitzenmannschaft Jüngeren Platz machte und sich immer mehr organisatorischen und betreuerischen Aufgaben widmete. Nach ihrer zweiten Heirat 1957 wurde dabei der Name Nina Heß zu einem echten Gütezeichen, wobei sich die Apothekenhelferin und Fakturistin im pharmazeutischen Großhandel im GSV als »Mädchen für alles« - Damenbetreuerin, Jugendleiter, Schriftführer, Abteilungsleiterin, noch amtierender Kassenwart besondere Verdienste erwarb und weiter erwirbt. Doch auch weit darüber hinaus: Seit über 30 Jahren Kreisdamenwartin, seit über 15 Jahren Bezirksdamenwartin, 10 Jahre lang Verbandsschiedsrichter mit Lizenz, jahrzehntelange Klassenleiterin, Organisatorin und Leiterin zahlreicher überregionaler Veranstaltungen sind nur Beispiele ihres intensiven Engagements, das - ebenfalls beispielsweise - aus dem nichts (um 1960 gab es im Kreis keine einzige Damenmannschaft) allmählich und beharrlich einen Spielbetrieb von mehreren Klassen entwickelte, zumindest initiierte.
Schlichtweg selbstverständlich, daß Verein und Verband diesen Leistungen Rechnung trugen, Dank abstatteten. Die Ehrenurkunde des HTTV bereits 1955, die Spielernadel in Gold, die Ehrennadel in Bronze, Silber und Gold durch den hessischen Verband, die silberne Ehrennadel der Stadt Gießen, 1977 verliehen, und die Ehrenmitgliedschaft des GSV sind nur die wichtigsten Auszeichnungen der Jubilarin, die sich wegen einer Augenerkrankung zwar 1979 vom aktiven Sport zurückziehen mußte, aber in ihrem idealistischen Engagement keineswegs nachgelassen hat.
»Ich helfe, solange ich kann, mit dem Schicksal hadern, hat keinen Sinn«, steckt die 70jährige Mutter eines 41jährigen Sohnes und Oma einer 14jährigen Enkelin die Zukunft ab, wobei Nina Heß - traditionsgemäß an »ihren« Verein gebunden - auch die Situation des GSV nicht in düsteren Bildern »sieht«.
Das Wort Sehen kann dabei allerdings beinahe nur noch im übertragenen Sinn gelten, denn laut Bescheinigung der Behörden gilt Nina Heß als blind. Mit dem Fünfzigstel der Sehkraft eines Auges und Lupenbrille entledigt sie sich aber noch immer - dabei weiterhin besonders der Jugend zugetan - ihrer Aufgaben mit Exaktheit, Zuverlässigkeit und Freude. Schwimmen und etwas Tischtennis (»ich ahne und höre die Bälle fast nur noch und spiele nur Rückhand«) gehören weiter zum Wochenprogramm und unterstreichen die ungebrochene Energie der Jubilarin, der auch deshalb Achtung, Dank und Sympathie gebärt. Und sicher heute in besonderem Maße entgegengebracht wird.
Aus Gießener Anzeiger vom 28.12.1982 geschrieben von ?
"Mit viel Wehmut denke ich an bessere Tage beim GSV zurück"
Nina Heß wird 70 Jahre alt - "Immer Mädchen für alles gewesen"
Gießen (fi). Geboren wurde sie als Nina Borisowna von Kasin in Charkow in der Ukraine, ihre größten sportlichen Erfolge errang sie als Nina Breitstadt zwischen 1956 und 1964, bekannt als eine Idealistin, die dem heimischen Tischtennis-Sport über drei Jahrzehnte zu einem klangvollen Namen verhalf, wurde sie jedoch unter Nina Heß. Am heutigen Dienstag feiert sie nun ihren 70. Geburtstag.
Zum Tischtennis-Sport fand Nina Heß vor fast 38 Jahren durch die Wirren des Krieges. "Nach unserer Evakuierung 1945 in Ruppertsburg spielten wir zum Zeitvertreib "PingPong" auf normalen Tischen, was uns so viel Spaß bereitete, daß wir schon ein Jahr später den TTC Ruppertsburg gründeten". Zahlreiche Kreis-, Bezirks- und Landestitel folgten, ehe sich Nina Breitstadt, wie sie damals noch hieß, Anfang der 50 er Jahre zuerst Grün-Weiß Gießen und dann dem GSV, der über Damen-Mannschaften verfügte, anschloß. Zusammen mit Elke Weigand, Erika Bartsch, Erna Döring, Helga Harisch und Inge Stumpf bestitt sie 1956 ihre erste Oberliga-Saison, der noch sieben folgen sollten. Christa Rühl-Federhardt, die mehrfache hessische Meisterin von der Frankfurter Eintracht, schloß sich dann dem GSV an und verlor mit Nina Heß in all den Jahren Oberliga nur ein Doppel (!).
Nach Einführung der Bundesliga bei den Damen machte sie Jüngeren Platz, widmete sich jedoch der Betreuung der Mannschaft sowie deren Organisation. Heute noch ist Nina Heß bei jedem Heimspiel der GSV-Damen anwesend, maßte jedoch seit wenigen Jahren auf das aktive Spielen in der "Vierten" sowie das Mitfahren bei Auswärtsspielen verzichten, da sie unter einer Netzhautablösung leidet, die ihre Sehfähigkeit merklich einschränkt. Dennoch kann die Jubilarin "Ich fühle mich noch nicht wie 70" nicht auf sportliche Betätigung verzichten, hält sie sich doch mit Schwimmen noch regelmäßig fit.
Mit Stolz weist Nina Heß. auf die Entwicklung des Damen-Tischtennis im heimischen Raum hin. Als "Mädchen für alles" setzte sie nach über 30 jähriger Tätigkeit als Kreisfrauenwartin und nach über I5 jähriger Ausübung des Amtes einer Bezirksfrauenwartin dem Sport im Umgang mit dem kleinen Zelluloidbällchen ihr Gütesiegel auf, war lange Zeit als Schiedsrichterin tätig, organisierte fast im Alleingang große Turniere.
Nach diesen zahlreichen Hochs im Leben einer Frau, die voll und ganz auf Tischtennis eingestellt ist, macht Nina HeB derzeit mit dem GSV große Tiefen durch. Nur mit Wehmut nimmt sie Anteil an den Abstiegen der Gießener Teams, die den Weggang zahlreicher Leistungsträger nicht verkrafteten.
Zurück Vorwärts Start Erstellt am 01.02.2001