
Aus Gießener Allgemeinen vom 16.08.1985 geschrieben von Siggi Richter
In memoriam Nina Heß
(rt) Gerade ihre zahllosen Freunde nahmen die bittere Nachricht zunächst ungläubig, dann mit tiefer Bestürzung,
ja fassungslos entgegen: Nina Heß, die beinahe vier Jahrzehnte lang das Tischtennisgeschehen im heimischen
Raum und weit darüber hinaus sowie das Schicksal ihres Heimatvereins Gießener SV mitgeprägt hat,
ja in großem Maße für die positiven Entwicklungen auf ihren zahlreichen Tätigkeitsfeldern
verantwortlich zeichnete, ist am späten Dienstagabend in einem Gießener Krankenhaus. im Alter von 72
Jahren an Herzversagen verstorben. Mit ihr verliert nicht nur der Sport eine Persönlichkeit, der wegen ihrer
großen Verdienste und ihres Engagements in der Sache, aber auch wegen ihrer liebenswürdigen, persönlichen
Art, ihrer Aufgeschlossenheit, ihres Verantwortungsbewußtseins, ihrer Zuverlässigkeit, Ausdauer und
Geduld und vieler anderer menschlicher Stärken neben großer Achtung mindestens ebenso starke Sympathien
entgegengebracht wurden.
Am 28. Dezember 1912 als Nina Borisowna von Kasin im ukrainischen Charkow geboren, fand Nina Breitstadt - so ihr
Name nach der ersten Eheschließung 1937 - beim TTC Ruppertsburg, den sie 1946 mit aus der Taufe hob, zum
Tischtennis. 1956 zum Gießener SV gekommen, feierte sie zunächst auch einige persönliche Erfolge
an den Platten, zu denen acht Jahre Zugehörigkeit zur Oberlia, der damals höchsten Spielklasse, gehörten.
Doch für die »Lady of Lahn« oder einfach »die Nina«, wie man sie später liebevoll
nannte, begann eine noch erfolgreichere Sportkarriere, als sie in der Spitzenmannschaft Jüngeren Platz machte
und Aufgaben als Betreuerin und Organisatorin übernahm. Nach ihrer zweiten Heirat 1957 wurde der Name Nina
Heß dabei zu einem echten Gütezeichen.
Über 32 Jahre lang Kreisdamenwartin, 17 Jahre lang Bezirksdamenwartin, über zehn Jahre lang Verbandsschiedsrichter,
jahrzehntelang Klassenleiterin, seit 1967 ohne Unterbrechung im Vorstand des Gießener SV als Schriftführerin,
2. Vorsitzende, Tischtennis-Abteilungsleiterin und bis zuletzt amtierender Kassenwart, als Organisatorin, ja »Mutter«
des Fritz-Neumann-Gedächtnis-Turniers ihres Vereins, als Jugendwart und nicht zuletzt als Betreuerin, ja »gute
Seele« der Bundesliga-Damen des GSV, Nina Heß prägte das Tischtennis-, ja Sportgeschehen nicht
nur im heimischen Raum mehr als eine Generation lang. Dabei galt ihre Liebe auch der Jugend und in ganz besonderem
Maße ihren Aufgaben auf dem Damen-Sektor, der dank ihrer unermüdlichen Arbeit (vor 1960 gab es im Kreis
beispielsweise kein einziges Damenteam) zu einem Spielbetrieb von mehreren Klassen prächtig gedieh. Die Ehrenurkunde
des HTTV, bereits 1955 verliehen, die Spielernadel in Gold, die Silberne Ehrennadel der Stadt Gießen, die
Ehrennadel des Verbandes in Bronze, Silber und Gold, die Ehrenmitgliedschaft im Gießener Schwimmverein, die
Ehrennadel des LSB in Bronze, dies sind nur die wichtigsten Auszeichnungen, mit denen die entscheidenden Gremien
und »ihr« GSV hochverdienten Dank abstatteten.
»Ich helfe, solange ich kann, mit dem Schicksal hadern, hat keinen Sinn«, hatte Nina Heß noch
anläßlich ihres 70. Geburtstages vor zwei Jahren geäußert, obwohl sie bereits damals nur
noch über ein fünfzigstel der Sehkraft eines Auges verfügte, für die Behörden als blind
galt. Mit Lupenbrille und viel Energie nahm sie sich aber immer noch mit Exaktheit, Zuverlässigkeit und Liebe
ihrer Aufgaben an. Vor wenigen Wochen war sie aus gesundheitlichen Gründen gezwungen, ihre Ämter im Bezirk
und Kreis zur Verfügung zu stellen, mit viel Wehmut im Herzen, aber mit dem Verantwortungsbewußtsein
das sie immer ausgezeichnet hatte. Der ganze HTTV nahm dies mit Bedauern, Respekt und großer Dankbarkeit
zur Kenntnis und wollte Nina Heß am letzten Augusttag dieses Jahres in einem großen Empfang verabschieden.
Es war ihr nicht vergönnt, diesen Tag des Dankes zu erleben, den sie mit viel Freude und berechtigtem Stolz
erwartete. Der heimische Sport und die Tischtennis-Gemeinde Hessens müssen am Montag Abschied nehmen, nun
nicht nur von der verdienstvollen Funktionärin, sondern auch von dem liebenswerten Menschen Nina Heß,
den neben der Familie ungezählte Freunde und Bekannte nicht vergessen werden.